Steffen Liebig ist Business Development Manager Strategic Relationships bei Standard Life. © Standard Life
  • Von Oliver Lepold
  • 24.11.2021 um 12:00
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Welche Auswirkungen hat die anstehende Zinssenkung für Altersvorsorge-Kundinnen und -Kunden? Steffen Liebig, Business Development Manager Strategic Relationships bei Standard Life, erläutert Folgen und Chancen für die Branche – und sagt, warum er es bedauert, dass der Schlussverkauf „in vollem Gange” sei.

Pfefferminzia: Ab 1. Januar 2022 sinkt der Höchstrechnungszins für Lebensversicherungen von 0,9 auf 0,25 Prozent. Wie beurteilen Sie diesen Schritt des Gesetzgebers? Hätte man dies nicht mit einer Flexibilisierung von Beitragsgarantien verbinden müssen?

Steffen Liebig: Definitiv, hier wurde seitens der Politik eine große Chance verpasst, auf die Niedrigzinsphase richtig zu reagieren. Ein ständiges Absenken des Höchstrechnungszins kann nicht die Lösung sein. Ich erwarte, dass dieser Trend noch weiter geht und wir bald bei 0 Prozent landen werden. Die Zinssituation und -politik in Europa wird sich in den nächsten fünf bis sieben Jahren nicht wesentlich verändern, allein schon aus Fragen der Staatsverschuldung. Die Flexibilisierung von Beitragsgarantien wäre daher dringend geboten, denn andernfalls werden die betroffenen Produkte für die Zielgruppen immer unattraktiver. Und für die Versicherer auch, denn Vertriebs- und Verwaltungskosten können mit einer garantierten Verzinsung von 0,25 Prozent kaum noch aufgefangen werden.

Was bedeutet die Änderung für den Vertrieb, kommt es zu einem Anziehen des Jahresendgeschäftes?

Leider ja, der Schlussverkauf ist in vollem Gang. Derzeit sind viele sogenannte Zinsretter im Markt unterwegs. Aber wo ist das denn wirklich sinnvoll? In der Biometrie eventuell, aber doch nicht in der Altersvorsorge. Ein Kunde kauft ein solches Produkt nicht, um bei den marktüblichen Kostenquoten von Garantieprodukten eine Garantieverzinsung von lediglich 0,9 Prozent zu erhalten. Am Ende werden Produkte immer an der Rendite gemessen. Aber Garantien gehen immer zu Lasten der Rendite. Standard Life hat dieses Problem nicht, denn wir gehen schon seit langem einen anderen Weg und bieten keine Garantieprodukte mehr an, da Garantien für einen langjährigen Sparprozess hinderlich sind.

Was bedeutet der Zinsschnitt für die Altersvorsorge-Kundschaft?

Für unsere Kundinnen und Kunden ändert sich nichts, weder für das Neugeschäft, noch für den Bestand. Auch bei vielen anderen Versicherern gelten die Rechnungsgrundlagen zum Zeitpunkt des Abschlusses auch für Beitragserhöhungen und Zuzahlungen während der gesamten Laufzeit. Darauf sollten Maklerinnen und Makler bei der Produktwahl natürlich achten. Daher sollten das Gros der Bestandskundschaft nicht von der Senkung betroffen sein. Für Neukundinnen und -kunden, die Garantieprodukte ab 2022 kaufen, gelten natürlich neue Rechnungsgrundlagen mit wesentlich schlechteren Prognosewerten.

Inwieweit werden die Beiträge neu abgeschlossener Lebens- oder Rentenversicherungen mit Garantien steigen?

Man geht in der Branche davon aus, dass die meisten Anbieter ihre Risikoprämien zwischen 10 und 15 Prozent anheben werden. Der größte Effekt ist natürlich, dass die Schere zwischen Brutto- und Nettobeitrag größer wird, weil sich die Zinssenkung stark auf den Bruttobeitrag auswirkt. Wie sich der Nettobeitrag nach Abzug der Überschüsse am Ende darstellt, ist momentan noch offen. Wir vermuten, dass dieser um 5 bis maximal 10 Prozent steigt. Es sind ja nicht nur die Garantiezinsen betroffen, sondern auch die Überschüsse in den Produktkalkulationen.

Verliert das Produkt Lebensversicherung damit nachhaltig an Bedeutung?

Nein, das würde ich nicht sagen, lediglich Produkte mit Garantien werden an Attraktivität und damit weiter an Bedeutung verlieren. Klar ist, dass die kapitalgedeckte Vorsorge immer wichtiger wird. Lebens- und Rentenversicherungen werden ihre Berechtigung behalten, die fondsgebundenen Varianten werden aber noch viel deutlicher in den Fokus rücken. Die Produkte werden künftig mehr an ihrer Flexibilität sowie an Ihrer Investment-Auswahl gemessen. Moderne Altersvorsorgekonzepte bieten auch weiterhin viel Zusatznutzen, etwa Steuervorteile oder eine Absicherung im Sparprozess. Das Thema Altersarmut wird immer dringlicher, ohne frühzeitiges Sparen geht es nicht. Und hier bieten Fondspolicen sehr gute Lösungen.

Welche neuen Wege gibt es Ihrer Ansicht nach, Sicherheit und Rendite intelligent und bedarfsgerecht zusammenzubringen?

Um die Kundschaft zum Umdenken zu bewegen, muss zuerst die Branche umdenken. Und das hat zumindest ein Teil der Branche getan. Die Anbieter spüren den andauernden Niedrigzinsdruck. Sie haben mittlerweile gelernt, dass es anders gehen muss. Die Zukunft liegt in Produkten, die auf Garantien verzichten. Es gibt andere zielführende Absicherungsmechanismen über die Investment-Welt. Über eine gläserne Konzeption von Produktmerkmalen und intelligente Investmentkonzepte können wir Kundinnen und Kunden helfen, Vermögen aufzubauen.

Der Bedarf an privater Vorsorge wird weiter steigen, aber das Nettoeinkommen steigt eben nicht im selben Maß angesichts steigender Energie- und Lebenshaltungskosten. Die Menschen müssen erkennen, dass sie nur mit einer ansprechenden Rendite ihre Vorsorgeziele erreichen können. Wir müssen fragen: Sparen Sie noch oder Investieren Sie schon? Da sehe ich unsere Verantwortung als Branche.

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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